Bereits zwei Mal 20 bis 30 Minuten Training pro Woche können bei Multiple Sklerose die Muskelkraft steigern und Fatigue deutlich verbessern. Diese ermutigenden Ergebnisse zeigen, dass Physiotherapie bei Multiple Sklerose einen entscheidenden Unterschied machen kann.
Multiple Sklerose ist eine chronische neurologische Erkrankung, die das zentrale Nervensystem betrifft und dabei zu Symptomen wie Muskelschwäche, Koordinationsproblemen und Müdigkeit führt. Doch die gute Nachricht ist: Regelmäßige Bewegung kann nicht nur deine Ausdauerleistung verbessern, sondern auch deine allgemeine Lebensqualität steigern.
In diesem Artikel zeigen wir dir, wie du mit gezielten physiotherapeutischen Übungen deine Beweglichkeit verbessern und Schmerzen reduzieren kannst. Du erfährst, welche Übungen sich für den Alltag eignen und wie du trotz MS-bedingter Einschränkungen aktiv bleiben kannst.
Warum Bewegung bei MS so wichtig ist
Der Spruch „Sport ist Medizin“ gilt besonders für Menschen mit Multipler Sklerose. Wissenschaftliche Studien belegen eindeutig: Regelmäßige Bewegung kann bei MS nicht nur Symptome lindern, sondern auch die Progression der Erkrankung positiv beeinflussen.
Wie MS deinen Körper beeinflusst
Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, bei der dein eigenes Immunsystem die Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark angreift. Dabei wird die schützende Isolierschicht der Nervenzellen, die sogenannte Myelinscheide, beschädigt. Diese Myelinscheide sorgt normalerweise für eine schnelle Weiterleitung der Nervenimpulse – eine von Myelin umhüllte Nervenfaser kann einen Impuls etwa zehnmal schneller weiterleiten als eine ohne diese Schutzhülle.
Die Folge dieser Schädigung: Nervenimpulse werden verzögert oder blockiert. Je nachdem, welche Bereiche deines Nervensystems betroffen sind, können unterschiedliche Symptome auftreten:
- Bewegungsstörungen und Muskelschwäche
- Erschöpfung (Fatigue) und verminderte Leistungsfähigkeit
- Gleichgewichts- und Koordinationsprobleme
- Sensibilitätsstörungen wie Taubheit oder Kribbeln
Besonders das Uhthoff-Phänomen, von dem etwa 80% der MS-Betroffenen betroffen sind, kann bei erhöhter Körpertemperatur vorübergehend Symptome verschlimmern.
Was Bewegung für deine Lebensqualität tun kann
Früher wurde Menschen mit MS von körperlicher Aktivität abgeraten. Heute wissen wir jedoch, dass Sport keinerlei negative Effekte auf die Schubrate hat. Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass regelmäßige Bewegung bei MS-Erkrankten zahlreiche positive Wirkungen entfaltet:
Bei regelmäßigem Training werden vermehrt entzündungshemmende Botenstoffe produziert, die die Krankheitsaktivität mildern können. Darüber hinaus gibt es erste Anhaltspunkte, dass körperliche Aktivität die Bildung neuer Nervenzellen unterstützt und Lernprozesse im Zentralen Nervensystem fördert.
Bereits nach vier Wochen Training konnten Menschen mit MS messbare Erfolge erzielen – ihre Beweglichkeit verbesserte sich und Müdigkeitssymptome gingen zurück. Eine Studie von Erin M. Snook und weiteren Autoren zeigt zudem, dass regelmäßiges Training die Gehfähigkeit in einem Maße verbessert, das etwa der Effektivität einer medikamentösen Therapie entspricht.
Physiotherapie und gezieltes Training können außerdem dein Selbstvertrauen stärken und dir helfen, aktiv gegen die Krankheit anzugehen. Dennoch ist wichtig zu wissen: Eine medikamentöse MS-Therapie kann durch körperliche Betätigung unterstützt, jedoch nicht ersetzt werden.
So findest du den richtigen Einstieg in die Physiotherapie
Physiotherapie ist ein zentraler Baustein in der Behandlung von Multipler Sklerose. Für viele Betroffene stellt sich allerdings die Frage: Wie fange ich richtig an, ohne mich zu überfordern? Eine Antwort darauf kannst du bereits auf deinem Rezept finden – achte auf den Zusatz „ZN 2“. Er steht für „Zentrales Nervensystem bei Erwachsenen“ und sichert dir einen Physiotherapeuten mit neurologischer Zusatzausbildung.
Wie du deine Belastungsgrenze erkennst
Bei MS schwankt die individuelle Leistungsfähigkeit stärker als bei gesunden Menschen. Daher ist es besonders wichtig, auf deinen Körper zu hören. Vor jeder Trainingseinheit solltest du dein aktuelles Empfinden einschätzen und eine angemessene Intensität wählen.
Ein Sporttagebuch kann dir helfen, Zusammenhänge zwischen deinem Training und möglichen Leistungsschwankungen zu erkennen. Besonders hilfreich ist dabei die MS Active App, mit der du nicht nur Übungsvideos anschauen, sondern auch deine Trainingseinheiten und Fortschritte dokumentieren kannst.
Wichtige Regel: Beende das Training sofort oder reduziere die Intensität, wenn Symptome wie Müdigkeit oder Gleichgewichtsprobleme auftreten.
Tipps für den Start mit leichten Übungen
Beginne mit einfachen Bewegungs- und Trainingsformen, die du gut in deinen Alltag integrieren kannst. Ideal zum Einstieg sind:
- Dehnungsübungen für Beweglichkeit
- Leichte Gleichgewichtsübungen für mehr Stabilität
- Kurze Ausdauereinheiten wie Gehen oder Radfahren
Nach einer guten Einweisung durch deinen Physiotherapeuten ist eine wöchentliche Therapie nicht immer notwendig. Dennoch solltest du die erlernten Übungen regelmäßig zu Hause fortführen, um Erfolge zu erzielen.
Was du bei Fatigue und Spastik beachten solltest
Fatigue, die abnorme Müdigkeit bei MS, beeinträchtigt etwa 80% der Betroffenen. Studien zeigen jedoch, dass regelmäßiges Training genau dieses Symptom reduzieren kann. Besonders Krafttraining hat sich als effektiv erwiesen.
Bei Spastik, also erhöhter Muskelspannung, empfehlen medizinische Leitlinien ausdrücklich aktives Training, beispielsweise auf dem Laufband. Dein Physiotherapeut kann dir zudem zeigen, wie du mit speziellen Dehnungsübungen Spastiken lösen kannst.
Darüber hinaus ist die Trainingsumgebung entscheidend: Der Raum sollte kühl sein, da Hitze MS-Symptome vorübergehend verschlimmern kann (Uhthoff-Phänomen). Achte auch auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr während des Trainings.
Besonders wichtig ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aktivität und Erholung. Plane deinen Tag so, dass du genügend Pausen einbauen kannst, um deine Kräfte zu regenerieren. Schließlich geht es nicht darum, dich zu überfordern, sondern mit angepasstem Training deine Lebensqualität nachhaltig zu verbessern.
Alltagstaugliche Übungen, die du sofort umsetzen kannst

Image Source: MS Trust
Einfache physiotherapeutische Übungen können bereits einen großen Unterschied in deinem Alltag mit MS machen. Das Beste daran: Du kannst viele davon direkt zu Hause umsetzen, ohne spezielle Geräte.
Übungen für mehr Gleichgewicht und Stabilität
Gleichgewichtsstörungen kommen bei MS-Betroffenen häufig vor und sind eine der Hauptursachen für Stürze. Dennoch kann dein Gehirn lernen, auch mit weniger Signalen auszukommen – genau hier setzt das Gleichgewichtstraining an.
Eine einfache, aber wirksame Übung ist die Balance-Haltung: Stelle dich in Schrittstellung hin, je breiter deine Beine, desto stabiler stehst du. Halte diese Position so lange wie möglich. Falls du dich unsicher fühlst, stütze dich zunächst an einer Wand oder einem stabilen Möbelstück ab.
Zur Stärkung deiner Rumpfstabilität eignen sich stehende Liegestütze: Stelle dich vor eine Arbeitsplatte und greife deren Rand. Beuge deine Arme und führe den Oberkörper in Richtung Hände, während deine Fersen am Boden bleiben. Diese Übung trägt wesentlich zur Stabilisierung beim Stehen und Gehen bei.
Bewegungsideen für zwischendurch
Baue kleine Übungen in deinen Alltag ein – empfehlenswert ist die mehrfache Durchführung für jeweils 10-15 Minuten, 2-3 Mal wöchentlich. Zum Beispiel:
- Zehenstand: Drücke dich langsam mit den Fersen vom Boden ab, bis du auf den Zehen stehst. Diese Übung aktiviert deine Wadenmuskulatur und verbessert die Abdruckphase beim Gehen.
- Wechselseitige Armschere: Im hüftbreiten Stand vor einer Küchenzeile eine Hand auf der Arbeitsplatte, die andere am Schrank. Schiebe abwechselnd die Arme nach oben für eine bessere Rumpfstabilisierung.
Der Vorteil dieser Übungen: Sie lassen sich einfach in den Tagesablauf integrieren – während du auf den Wasserkocher wartest oder beim Zähneputzen.
Hilfsmittel, die dich im Alltag unterstützen
Hilfsmittel können Hindernisse beseitigen und dein Leben erheblich erleichtern. Je nach individuellen Bedürfnissen können folgende Hilfsmittel sinnvoll sein:
Für die Mobilität eignen sich Gehstöcke, Gehhilfen wie Rollatoren oder bei Bedarf ein Rollstuhl. Im Badezimmer bieten Haltegriffe, Duschstühle oder WC-Sitzerhöhungen zusätzliche Sicherheit.
Lasse dich vor der Anschaffung von einer Fachperson beraten, um die ideale Lösung für deine Situation zu finden. In vielen Fällen übernehmen Kranken- oder Pflegekassen die Kosten für notwendige Hilfsmittel.
So bleibst du motiviert und machst Fortschritte
Für den langfristigen Erfolg mit Physiotherapie bei MS ist es entscheidend, dranzubleiben und Übungen regelmäßig durchzuführen. Doch gerade bei einer chronischen Erkrankung wie Multiple Sklerose kann die Motivation manchmal schwinden. Mit den richtigen Strategien und Hilfsmitteln gelingt es dir, am Ball zu bleiben und kontinuierlich Fortschritte zu erzielen.
Wie du kleine Erfolge sichtbar machst
Ein Sporttagebuch hilft dir, deine individuellen Belastungsgrenzen zu erkennen und einzuschätzen. Trage täglich deine Aktivitäten mit Dauer und resultierendem Befinden ein. Auf diese Weise kannst du mit der Zeit ablesen, welche Übungen besonders gut zu dir passen und welche du besonders gut verträgst. Darüber hinaus wird durch die regelmäßige Dokumentation sichtbar, wie sich deine Leistungsfähigkeit entwickelt.
Die positiven Effekte einer regelmäßigen Rehabilitation halten bei MS etwa 6 bis 9 Monate an. Deshalb ist es ratsam, eine 4- bis 6-wöchige Rehabilitationsmaßnahme nach Möglichkeit jährlich zu wiederholen, um langfristig positive Effekte zu erzielen.
Apps und Tools zur Unterstützung
Moderne Technologien bieten hervorragende Möglichkeiten für ein individuelles Training. Besonders hilfreich sind:
- MS Active App: Zeigt Übungs-Videos und ermöglicht die Dokumentation deiner Trainingseinheiten und Fortschritte.
- Brisa App: Hilft dir, deinen persönlichen Krankheitsverlauf zu beobachten und Veränderungen aktiv zu erkennen.
- Runtastic & Moves: Dokumentieren zurückgelegte Strecken, Geschwindigkeit und Kalorienverbrauch beim Ausdauersport.
Für digitale Therapieansätze wurde in Studien eine sehr hohe Compliance von über 90% festgestellt. Diese Apps bieten nicht nur Unterstützung, sondern motivieren auch durch Feedback und Fortschrittsdokumentation.
Belohnungssysteme, die wirklich helfen
Kleine Tricks und Kniffe können deine Motivation erheblich steigern. Platziere beispielsweise ein Balance-Pad neben dem Stehtisch oder ein Theraband neben dem Tablet – so werden Übungsmöglichkeiten in deinen Alltag integriert.
Besonders wirksam sind konkrete Belohnungen: Ist neben der Therapie-Praxis ein Sushi-Lokal? Dann gönne dir nach jedem vierten Training ein Sushi-Menü zum Mitnehmen. Diese kleinen Belohnungen schaffen einen positiven Verstärkungskreislauf.
Zudem kann ein E-Bike eine fantastische Motivation sein, da die elektrische Unterstützung die Barriere abbaut, einfach loszuradeln. Dadurch steigt die Motivation, den Bewegungsradius zu erweitern.
Nicht zuletzt kann auch der Besuch von Sportveranstaltungen motivierend wirken. Viele Vereine laden Rollstuhlfahrer:innen ein und bieten spezielle Plätze – ein Highlight sowohl für dich als auch für deine Begleiter:innen.
Physiotherapie bei Multiple Sklerose: Fazit
Zusammenfassend zeigen wissenschaftliche Studien eindeutig, dass regelmäßige Physiotherapie bei MS deine Lebensqualität deutlich verbessern kann. Schon kleine, aber regelmäßige Übungen machen einen spürbaren Unterschied – sei es beim Gleichgewicht, der Muskelkraft oder der allgemeinen Beweglichkeit.
Dennoch ist es wichtig zu verstehen, dass jeder MS-Verlauf individuell ist. Deshalb solltest du dein Training stets an deine persönliche Situation anpassen und auf die Signale deines Körpers achten. Mit den richtigen Übungen, unterstützenden Apps und einer positiven Einstellung kannst du aktiv gegen deine Symptome angehen.
Falls du weitere Unterstützung bei der Entwicklung deines persönlichen Übungsprogramms benötigst, kannst du uns jederzeit unter physio-teli.de kontaktieren. Schließlich geht es darum, dass du trotz MS ein aktives und selbstbestimmtes Leben führen kannst – und mit der richtigen physiotherapeutischen Begleitung ist genau das möglich.
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FAQs
Wie kann Physiotherapie bei Multipler Sklerose helfen?
Physiotherapie kann bei MS die Muskelkraft steigern, Fatigue reduzieren und die allgemeine Lebensqualität verbessern. Regelmäßige Übungen können Beweglichkeit erhöhen, Schmerzen lindern und sogar die Krankheitsprogression positiv beeinflussen.
Wie oft sollte man bei MS trainieren?
Bereits zwei Mal 20 bis 30 Minuten Training pro Woche können bei Multiple Sklerose deutliche Verbesserungen bewirken. Es ist wichtig, die individuelle Belastungsgrenze zu beachten und das Training an die persönliche Situation anzupassen.
Welche Übungen sind für MS-Patienten besonders geeignet?
Einfache, alltagstaugliche Übungen wie die Balance-Haltung für das Gleichgewicht oder stehende Liegestütze für die Rumpfstabilität sind gut geeignet. Auch Dehnungsübungen, leichte Gleichgewichtsübungen und kurze Ausdauereinheiten wie Gehen oder Radfahren sind empfehlenswert.
Wie kann man trotz Fatigue und Spastik trainieren?
Bei Fatigue hat sich regelmäßiges Training, insbesondere Krafttraining, als effektiv erwiesen. Bei Spastik empfehlen medizinische Leitlinien aktives Training, z.B. auf dem Laufband. Es ist wichtig, auf ausreichende Pausen und eine kühle Trainingsumgebung zu achten.
Welche Hilfsmittel und Apps können das Training unterstützen?
Hilfsmittel wie Gehstöcke, Rollatoren oder spezielle Badezimmerausstattungen können den Alltag erleichtern. Apps wie MS Active, Brisa oder Runtastic helfen bei der Übungsdurchführung, Dokumentation von Fortschritten und Motivation. Ein Sporttagebuch kann ebenfalls nützlich sein, um Fortschritte sichtbar zu machen.